10. September 2014

Learning from Las Vegas

Im März 1968 veröffentlichten Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour im Architectural Forum einen Artikel mit dem Titel A Significance for A & P Parking Lots, or Learning from Las Vegas, der im selben Jahr zur Grundlage eines Seminars an der Yale University wurde. Aus diesem Seminar inkl eines 10-tägigen Aufenthaltes in Las Vegas ging schließlich das Buch hervor, das unserer Forschungsexpedition ihren Namen gab und auf deutsch den Titel trägt: Lernen von Las Vegas. Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt. 

Im Strip von Las Vegas sehen die AutorInnen die „reinste und intensivste Verwirklichung“ (8) des Phänomens des Geschäfts-Strips. Der Strip interessiert dabei vor allem als Beispiel „architektonisch vermittelter Kommunikation“ (13), die in Las Vegas im Dienst der kommerziellen Verführung steht.

Die Architektur der Kommunikation ist „anti-räumlich“ (19), „es ist die Architektur einer Kommunikation, die den Raum nicht mehr gelten lassen will.“ (19) „Es entsteht eine Landschaft weiter, undurchschaubarer Siedlungsformen: riesige Räume, hohe Geschwindigkeiten und komplexe Nutzungsverflechtungen kennzeichnen sie.“ (19) Die Zeichen dominieren den Raum. Verzweigte Räume und vielfältige Nutzungen verlangen „eine Architektur im Dienst eindeutiger Kommunikationssequenzen, nicht eine Architektur subtilen Ausdrucks“ (19) Die Notwendigkeit der Kommunikation über große Entfernungen bedingt einen „Vorrang des Zeichens vor der Architektur“ (24) „Wenn man die Zeichen wegnimmt, gibt es keine Stadt mehr. Die Wüstenstadt Las Vegas besteht nur aus dieser verdichteten Kommunikation entlang des Highway“ (25)

Die Zeichen am Strip von Les Vegas sind auf den im Auto mobilen Körper zugeschnitten, erst das Innere der Casino-Komplexe und Supermärkte sind für FußgängerInnen gemacht. Die Zeichen und die Architektur (und die Architektur als Zeichen) bilden ein System „beziehungsreicher Anspielungen“, das durch die Einbeziehung des Gegensätzlichen, nicht durch die Klarheit des Stils entsteht. Die Bilderwelten des Strips rufen das alte Rom oder den Wilden Westen auf, die Simulation bestimmter Vorstellungs- und Lebenswelten verführt dazu, den passenden Habitus zu pflegen. Das wilde Durcheinander der Zeichen könnte die Sehweisen verändern, die Herausbildung einer „schnellen“ Wahrnehmung fördern, die diese Vielfalt zu schätzen weiß und mit Freude die unendlichen Assoziationen entfaltet, die von der Architektur der beziehungsreichen Anspielungen ausgelöst werden können: „Der Strip ist […] etwas ganz Neues. Aber was? Keineswegs Chaos, sondern eine neue räumliche Ordnung, die ganz auf die Merkmale des Autoverkehrs, der Kommunikation über das Netz der Highways zugeschnitten ist, nur locker gefüllt von einer Architektur, die sehr freizügig das Moment der Form ausbeutet, um alle Möglichkeiten der Mitteilung zu nutzen.“ (91)

Was hat das mit Gänserndorf zu tun? Klar ist: Gänserndorf ist nicht Las Vegas. Doch wie Brown, Ventouri und Izenour den Blick auf die banale Konsumarchitektur in Las Vegas gelenkt haben, lohnt es sich, den Blick auf die oft ebenso banale Zwischenstadt-Architektur Gänserndorfs zu richten - denn es ist diese Architektur und nicht die architektonisch herausragenden Bauten, die das Leben in Gänserndorf und vielen anderen Städten bestimmen. Doch auch auf einer konkreteren Ebene lassen sich Parallelen ziehen: Auch die Architektur entlang der B8, des "Strips von Gänserndorf", ist gewissermaßen anti-räumlich, auch sie ist auf den Automobilen Körper zugeschnitten, auch hier dominiert streckenweise das Zeichen die Architektur. Doch im Gegensatz zu Las Vegas stehen Architektur und Zeichen (oder: Architektur als Zeichen) in Gänserndorf nicht oder nicht in erster Linie im Dienste einer kommerziellen Verführung - als besonders verführerisch würde man Gänserndorf im Allgemeinen und der Strip im Besonderen wohl nicht bezeichnen. Die Zeichen entlang des Gänserndorfer Strips wollen weniger verführen denn ganz praktisch informieren. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass Gänserndorf weniger durchgeplant und auf kapitalistische Verwertungsinteressen zugeschnitten ist als Las Vegas. Während Las Vegas von einer Kultur der "schöpferischen Zerstörung" geprägt ist, in der das Alte jederzeit beseitigt wird, wenn das Design des Neuen es erfordert, überlagern sich am Strip in Gänserndorf historische Schichten, die verhindern, das sich hier eine glatte, durchgestylte Architektur-Zeichen-Oberfläche herausbildet. 

Zitate aus: Venturi / Brown / Scott: Lernen von Las Vegas. Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt. Braunschweig 1979.

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